Verantwortung geht einher mit Reife. Damit ist gemeint, dass wir reich sind an Erfahrung, an Wissen und Verständnis. Wir können erst dann erfolgreich Verantwortung übernehmen, wenn wir verstehen, was passiert. Dann können wir so wirken, dass ein gewünschtes Ergebnis eintritt. Darum geht es bei der Übernahme von Verantwortung. Im Rahmen unseres Verständnisses können wir Verantwortung übernehmen, und uns selbst und unserem Umfeld entsprechend unserer eigenen Werte und Ziele dienen. Haben wir kein Verständnis, dann orientieren wir uns an anderen, die mehr verstehen oder zu verstehen scheinen. Wir geben dann Verantwortung ab und dienen anderen, dienen also womöglich auch Werten und Zielen, die gar nicht die unsrigen sind. Verantwortung, Verständnis und Freiheit gehen deshalb Hand in Hand.
Wollen wir etwas verstehen, so müssen wir selbst denken. Selber denken ist kein Verrat am Kollektiv, kein Betrug an der Solidarität, keine Gefährdung der Allgemeinheit – solche Behauptungen sind klare Bekenntnisse zu autoritären Strukturen. Das Ziel einer Diktatur liegt immer darin, Verantwortung zu zentralisieren, weg vom Individuum und hin zur Autorität. Es wird meist um Akzeptanz für dieses Vorhaben geworben, indem Angst verbreitet und Sicherheit versprochen wird. Dieses Thema ist heute genauso aktuell wie in den vergangenen Jahrhunderten, und wir haben viele Beispiele in der fernen und nahen Vergangenheit, von denen sich immer mehr auf globaler Ebene abspielen.
Der Glaube an das Wahre braucht keine Ideologie, kein blindes Vertrauen, sondern den Mut, das in Frage zu stellen, was nicht bezweifelt werden darf. Um die Wirklichkeit zu erkennen, muss ich sie unvoreingenommen beobachten. Ohne Zweifel an zuvor übernommenen Überzeugungen ist das nicht möglich. Beobachte ich den Fernseher oder die Sendung meines Vertrauens im Internet, so habe ich keinen direkten Zugang zur Wirklichkeit. Direkten Zugang habe ich dann nur zu dem Inhalt, der mir präsentiert wird, den andere erschaffen oder ausgewählt haben. Ich gebe damit Verantwortung ab, und übernehme eine vorgefertigte Perspektive, häufig ohne die Motive hinter dieser Auswahl zu kennen oder zu hinterfragen. So können Illusionen erzeugt werden, die zunächst nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben, dann aber nach dem Prinzip einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung auf die Wirklichkeit einwirken können. Wer Informationen konsumiert und diese nicht zu Ende denkt und hinterfragt, gibt Verantwortung ab und macht sich zum Spielball von Politik und Medien.
Die Übernahme von Verantwortung erfordert kein vollumfassendes Verständnis der Welt. Ein Verständnis des eigenen Weltbildes ist aber sehr hilfreich. Es ist auch hilfreich, die Grenzen des eigenen Wissens zu kennen, um weiterhin beobachten und lernen zu können. Es ist sehr hilfreich, die grundlegenden Regeln der Natur und des Denkens zu kennen. Es ist sehr hilfreich, die Struktur des Systems, in dem wir leben, und das andauernd auf uns einwirkt, zu kennen. Dies müssen wir uns selbst erarbeiten, denn in der Schule bekommen wir die Fassade des Systems erklärt, nicht seine dahinter liegende Struktur. Über Wirtschaft und Finanzen und vor allem über uns selbst und unser Denken und Fühlen wird in den Schulen fast nichts gelehrt. Wenn wir dies nachholen, wird erkennbar, dass wir zuvor nur wenig uns selbst, aber sehr viel anderen gedient haben. Die heutigen Schulen wurden geschaffen mit der Absicht, die Menschen zur Teilnahme am Arbeitsmarkt der Industrie zu befähigen, und über die Zeit an die Anforderungen einer Dienstleistungsgesellschaft angepasst. Ausgehend davon ist es kein weiter Weg in die Rolle des Opfers, das die Schuld dem System gibt. Dann wird Selbstmitleid kultiviert und alles, inklusive der eigenen Machtlosigkeit, beklagt. Auf dieser Stufe bleiben viele stehen, und das ist durchaus im Sinne des Systems. Es ist unsere Aufgabe, das zu erkennen und weiter zu gehen. Verantwortung zu wollen ist dann das erste Zwischenziel.
Freiheit wird heute oft missverstanden als die Möglichkeit, aus gegebenen Alternativen selbst wählen zu dürfen oder zu müssen. In einem verfehlten Bemühen um Freiheit eskaliert daher gerade die Zahl und Absurdität der angebotenen Wahlmöglichkeiten in allen möglichen Bereichen. Wirkliche Freiheit entsteht durch die Übernahme von Verantwortung. Um frei zu werden, müssen wir selber denken. Wir haben aber auch die Freiheit, nicht zu denken und unfrei zu bleiben.
Wir haben Verantwortung für uns, aber auch für die Menschen um uns herum. Es ist wichtig, dass wir Menschen dort Hilfe anbieten, wo wir schon weiter sind. Es ist aber genauso wichtig, dass wir Hilfe annehmen können in Bereichen, in denen andere Menschen uns voraus sind. Hier haben beide Seiten einen Teil der Verantwortung, dass die Hilfe gelingt und zur Entwicklung beider Seiten beiträgt. Die Person mit mehr Erfahrung übernimmt dabei auch mehr Verantwortung. Gut helfen zu können erfordert viel Übung und eine gute Wahrnehmung und Einschätzung des Gegenübers. Wir wollen helfen und es kann schnell passieren, dass wir entweder zu viele Steine aus dem Weg räumen und die Entwicklung der anderen Person behindern, oder mit zu viel neuen Impulsen eine Überforderung verursachen. Besonders Eltern haben hier gegenüber Kindern große Verantwortung. Wir wachsen hier mit unseren Aufgaben. Eine gute Vorbereitung ist sinnvoll, aber wir müssen auch uns selbst und anderen Fehler verzeihen können. Wir sind hier um zu lernen und zu wachsen, und das geht immer damit einher, dass wir auch Fehler machen. Durch Fehler entstehen auch wieder neue Möglichkeiten und Erfahrungen.