Welche Bedeutung hat die Sprache für unser Denken? Welche Möglichkeiten ergeben sich dadurch, dass wir Wörter verwenden? Wodurch erhält ein Wort seine Bedeutung? Diese Fragen führen uns zum Begriff. Und sie führen uns auch zur Vorstellung. Wohin wir zuerst gelangen, Begriff oder Vorstellung, das hängt davon ab, welchen Weg wir mit unseren Gedanken nehmen.
Außer Wahrnehmen und Denken ist dem Menschen nichts gegeben. Hiervon ausgehend versuchen wir zu ergründen, wer wir sind und wo wir sind. Wahrnehmen und Denken ist unser Ausgangspunkt. Wir bemerken, dass uns die Wahrnehmungen gegeben werden, sie strömen auf uns ein. Aktiv sind wir dabei nur durch unsere Auswahl, wohin wir unsere Aufmerksamkeit lenken. Damit bestimmen wir, was wir bewusst wahrnehmen. Wir bemerken auch hier Regeln; denn neue und unbekannte Wahrnehmungen ziehen unsere Aufmerksamkeit an. Wir wollen wissen, ob wir uns in Gefahr befinden oder nicht. Altbekannte Wahrnehmungen hingegen ziehen oft unbemerkt vorüber.
Was passiert nun, wenn wir etwas Unbekanntes wahrnehmen, oder unsere Aufmerksamkeit aus anderen Gründen auf eine Wahrnehmung richten? Wir durchdringen die Wahrnehmung mit unserem Denken. Wir wollen wissen, was die Wahrnehmung verursacht hat. Wir suchen einen Begriff. Wir können das beobachten, wenn wir etwas wahrnehmen, das wir nicht unmittelbar zu einem Begriff zuordnen können. Meist hören oder sehen wir etwas, und die Verbindung zum Begriff taucht unmittelbar auf: Dieses Geräusch ist eine singende Drossel, dieses Geräusch ist ein vorbeifliegendes Flugzeug, dort drüben sehen wir etwas und erkennen direkt, es ist die Katze des Nachbarn. Und was dort auf dem Tisch steht, ist eine Tasse. Bekannte Dinge werden so schnell erkannt, dass wir den Vorgang nicht bemerken. Aber manchmal nehmen wir etwas wahr, und wir können es nicht zuordnen. Dann werden wir unruhig. Wir denken nach: was könnte es sein, haben wir etwas ähnliches schon mal wahrgenommen? Wir richten unsere Aufmerksamkeit aus und wollen mehr Wahrnehmen, mehr Hinweise erhalten. Wir suchen nach etwas Bekanntem in der neuen Wahrnehmung. Wir werden aktiv, bewegen uns, schauen aus anderen Richtungen, wenn uns das möglich ist. Wir kommen erst zur Ruhe, wenn wir einen Begriff gefunden haben.
Diesen Begriff finden wir im Denken, und wir benennen ihn mit einem Wort. Wenn wir noch kein Wort haben, behelfen wir uns zunächst mit einer Umschreibung. Diese Umschreibung nutzt bekannte Wörter für im Begriff enthaltene Basisbegriffe. Kennen wir keine Tasse, dann könnten wir sagen: Das ist ein Becher mit einem Griff, oder ein Trinkgefäß mit Henkel. Wir verbinden mit einem Begriff immer auch ein Wort. Deswegen haben wir eine Sprache. Dieses Wort kann den Begriff dann in unser Denken holen, so wie es auch durch die Wahrnehmung eines Objektes, in dem der Begriff verwirklicht ist, geschieht. Wir reichern die Begriffe an und individualisieren sie auf diese Weise mit zughörigen Wahrnehmungen und zughörigen Worten. Das Ergebnis nennen wir eine Vorstellung. Diese Vorstellung wird immer aktiv, wenn wir eine passende Wahrnehmung haben, oder das entsprechende Wort hören. Die Summe dieser Vorstellungen nennen wir unsere Erfahrung. Viele umfangreiche Vorstellungen machen uns reich an Erfahrung. Mit der Erfahrung wächst auch unser Weltbild. Das Weltbild ist unser Netzwerk, in dem wir alle unsere Vorstellungen einsortieren und vernetzen.
Wenn wir denken, dann bedienen wir uns der Wörter. Wir nutzen diese, um Gedanken bewusst zu formulieren. Dafür ist wesentlich, dass wir das Wort kennen. Das bedeutet, wir müssen eine Verknüpfung haben vom Wort zu einem individualisierten Begriff. Dieser enthält den Begriff selbst und auch zugehörige Wahrnehmungen. Mit unbekannten Wörtern können wir keine Gedanken formulieren. Wir bilden die Gedanken also eigentlich mit Begriffen. Die Verbindungen der Begriffe sind das Wesentliche eines Gedankens. Diese Tätigkeit ist aktives, lebendiges Denken. In vielen Fällen tragen wir aber unsere Vorstellungen mit in die Gedanken hinein. Dann schieben sich fertige Bilder vor die Begriffe und das Denken verliert an Lebendigkeit und Flexibilität.
Wenn wir Worte denken, dann liefert unser Denken automatisch die dazu gehörigen Begriffe. Ein nur gedachtes Wort hat dabei den gleichen Effekt wie ein zuerst gehörtes und dann gedachtes Wort. Es ist der gleiche Vorgang, durch den das Denken auch unsere Wahrnehmungen mit den passenden Begriffen ergänzt. Das bewusste Denken kann sich Worte heranziehen, und es greift dabei auf die Begriffe zurück, die wir mit diesen verbinden. Beim bewussten Denken und Nachdenken stehen häufig die Worte im Vordergrund, wir denken dann ähnlich wie wir sprechen. Dass die Begriffe dabei im Hintergrund immer präsent sind merken wir meist erst dann, wenn wir mit unbekannten Wörtern konfrontiert werden, zum Beispiel beim Lesen. Worte bewirken genau wie andere Wahrnehmungen eine Aktivität unseres Denkens. Dieses fügt dann zu den Worten die passenden Begriffe hinzu, genauso wie es das auch für andere Wahrnehmungen tut. Das Denken greift dabei auf unsere Erfahrung zurück, also die Summe unserer individualisierten Begriffe.
Wenn wir einen zu einem Wort gehörigen Begriff klären wollen, bietet es sich an, mit einem Beispiel zu beginnen. Ein Beispiel muss gültig sein, also zum Begriff zugehörig. Dazu ist es nötig, dass wir den Begriff bereits kennen. Das Klären des Begriffes holt dieses Wissen lediglich in den Vordergrund und macht es uns möglich, bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen. Unbekannte Begriffe können wir nicht klären, und zu unbekannten Worten fehlt uns der Begriff. Wir bauchen dann Hilfe. Zudem sollte das Beispiel zur Begriffsklärung möglichst konkret sein. Bei Begriffen zu physischen Gegenständen wie einer Tasse bietet sich ein vorhandener oder gut bekannter Gegenstand an. Bei Begriffen zu abstrakten Konzepten wie Hoffnung oder Treue bietet sich eine konkrete Situation oder Handlung an, die wir im Idealfall selbst erlebt haben.
Wir sind aber durchaus auch in der Lage, ohne Worte zu denken. Wir können direkt Vorstellungen von zukünftigen Zuständen bilden oder übernehmen, in die Handlung gehen, und damit den Zustand bewirken. Wenn uns dann jemand fragt, was wir uns dabei gedacht haben, fehlen uns wahrscheinlich zunächst die Worte. Besonders dann, wenn unsere Handlung sich nicht so auswirkt wie wir uns das vorgestellt haben, oder unerwartete weitere Folgen nach sich zieht. Wir müssen dann selbst erst überlegen, unser Motiv finden und vor allem die Worte finden, um das Motiv zu beschreiben.