Wie denken wir?

Zum Thema Denken gibt es bereits Artikel auf diesem Blog. Diese bieten einen Einstieg in das Thema, welches an dieser Stelle noch etwas umfassender betrachtet werden soll. Denn es erfordert Übung, das Denken zu nutzen und zu beobachten. Unser Denken ist bei vielen Aufgaben so schnell, dass wir es gar nicht bemerken. Manchmal ist es uns aber auch zu langsam. Um das Denken besser beobachten zu können, kann es hilfreich sein, es in der eigenen Vorstellung in zwei Prozesse aufzuteilen. Wir bilden also ein Modell, anhand dessen wir versuchen, unsere Beobachtungen des eigenen Denkens zu strukturieren.

Der Youtube-Kanal “Veritasium” hat einen sehenswerten Beitrag zum Thema Denken veröffentlicht. Dieser heisst “Die Wissenschaft vom Denken” und kann auf Youtube leicht gefunden werden. Das dort anschaulich präsentierte Modell des menschlichen Denkens möchte ich hier noch einmal kurz skizzieren. Wir haben die Fähigkeit, Denkprozesse einzuüben und sozusagen im Hintergrund ablaufen zu lassen. Jedes mal, wenn wir etwas neues lernen, können wir das beobachten. Dazu gehört sprechen, laufen, Fahrrad fahren, Auto fahren, balancieren, schreiben und noch viel mehr. Mit unserem bewussten Denken geben wir, wenn wir genug Übung haben, nur noch den Befehl. Den Rest erledigt unser unbewusstes Denken. Wenn wir etwas auf Papier schreiben wollen, dann geht das schnell und einfach. Anders sieht die Sache aus, wenn wir mit der anderen Hand schreiben wollen. Auch das könnten wir lernen. Es würde uns mit der Zeit leichter fallen, auch wenn die Schrift wohl nie so schön wird wie mit unserer bevorzugten Hand. Auch die Interpretation dessen, was unsere Sinne uns liefern, muss zunächst gelernt werden. Wir tun dies in sehr jungem Alter und können uns meist nicht daran erinnern. Aber wir können kleine Kinder beobachten, wie sie immer mehr Dinge erkennen und sich immer koordinierter bewegen. 

Das automatisierte Denken ist sehr schnell, braucht keine Aufmerksamkeit und kann sich unserer gesamten Erfahrung bedienen. Auf der anderen Seite kann es aber nicht mit neuen Situationen umgehen, kann keine unbekannten Dinge verarbeiten und ist generell unkritisch. Das bewusste Denken übernimmt diese Aufgaben. Es erfordert unsere Aufmerksamkeit, ist oft langsam. Abes es kann Vorurteile überwinden und neue Dinge und Zusammenhänge erkennen. 

Das bewusste Denken bedient sich des automatisierten Denkens, es baut sozusagen darauf auf. Wenn wir im bewussten Denken auf eine Wahrnehmung reagieren, dann nutzen wir dabei bereits durch das automatisierte Denken gelieferte Interpretationen der Sinneseindrücke, in denen vieles bereits erkannt wurde. Schauen wir zum Beispiel für eine Sekunde auf eine Foto, dann werden wir bereits in dieser kurzen Zeit ohne bewusste Anstrengung sehr viel darauf erkennen. Jedenfalls dann, wenn auf dem Foto uns bekannte Dinge abgebildet sind, wie zum Beispiel Pflanzen, Gebäude, Tiere oder Menschen. Ist auf dem Foto etwas, das unser automatisiertes Denken nicht zuordnen kann, dann wird das bewusste Denken aktiv und wir werden uns nach Möglichkeit das Foto genauer und länger anschauen. Die Sinneswahrnehmung liefert uns also zunächst ein Rätsel. Unser automatisiertes Denken liefert uns blitzschnell die zugehörigen Begriffe, sofern wir etwas bekanntes wahrnehmen. Ansonsten müssen wir mit dem bewussten Denken einen Begriff erarbeiten, der dem Wesen der Wahrnehmung entspricht. Wir vollziehen dabei ein Urteil. Wir benennen etwas. Diese Aufgabe des Denkens gehört dem Verstand. Der Verstand analysiert, definiert, benennt, er macht uns die Begriffe zugänglich.

Aufbauend auf diesen Begriffen ist die Sprache. Sie benennt die Begriffe mit Worten und ermöglicht so die verbale und schriftliche Kommunikation. Auch im Denken bedienen wir uns der Worte, um Begriffe aufzurufen. Denken wir ein Wort, dann liefert das unbewusste Denken uns dazu ebenfalls blitzschnell den Begriff, den wir damit verbinden. Dieser Begriff erscheint uns zunächst in seiner individualisierten Form, also innerhalb der Vorstellung, die wir gebildet haben. Die Begriffe selbst halten sich meist im Hintergrund. Wir können sie aber hervorholen, indem wir im bewussten Denken eine Begriffsklärung machen. Wir nehmen dann ein Beispiel, suchen Wesensmerkmale, und arbeiten uns vor zu allen Basisbegriffen, die wir mit dem Begriff verbunden haben. So können wir herausfinden, ob wir mit einem Wort den gleichen Begriff verbinden wie unser Gegenüber. 

Jeder Geist, der auf diese Welt kommt und sich ausdrücken möchte, wird auf Beschränkungen stoßen, die sich aus der Sprache und den darin enthaltenen Worten ergeben. Würden wir hier einfach aufgeben und den Sprachgebrauch hinnehmen wie er ist, stünden wir unserer Entwicklung selbst im Weg. Wir könnten dann nicht frei denken. Wir müssen unsere Sprache mitentwickeln und erweitern, manchmal auch wandeln. Dazu gehört auch die Schöpfung neuer Wörter, genauso wie die Abwandlung, Erweiterung oder Spezialisierung der Bedeutung vorhandener Wörter. Die Sprache ist ein Werkzeug, mit dem wir unser automatisiertes Denken besser nutzen können. Jeder Begriff, für den wir ein Wort haben, ist dem bewussten Denken schnell und einfach durch dieses Wort zugänglich. Denn unser unbewusstes Denken hat gelernt, zu welchem Begriff das Wort gehört. Wir können dann unser automatisiertes Denken mit wenigen Wörtern Begriffe neu verbinden lassen. 

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