Der Zwang des Geldes

Geld gilt als notwendiges Zwischenziel für so gut wie alles, was sich im Leben erreichen lässt. Es gilt als Notwendigkeit für das Überleben selbst. Wie ist es dazu gekommen? Warum glauben wir, dass ein Leben ohne Geld nicht möglich ist? 

Wir glauben, dass wir in der Lage sind, Geld zu verdienen. Wir glauben, dass das Geld in der Lage ist, uns am Leben zu halten. Und wir glauben, dass wir selbst ohne Geld nicht imstande wären, unser eigenes Leben zu erhalten. Wie kann das sein? Warum können wir Geld verdienen, und dann damit am Leben bleiben, aber nicht aus eigener Kraft leben? Oder, um genau zu sein, warum sind wir überzeugt, dass das so sei? Wir haben gelernt, dass es so ist. Wir haben gelernt, wie wir Geld verdienen. Darüber hinaus sind wir erstaunlich ungebildet. 

Wir sind geprägt durch unser Umfeld. Was uns wirklich am Leben erhalten kann, das ist die Natur. Unser Planet gibt uns Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken, Nahrung zum Essen, Material zum Bauen. Aber der Zugang zur Natur scheint uns verwehrt. Die Natur ist mit diversen Mitteln unzugänglich gemacht geworden. Wenige Menschen haben die Natur zu ihrem Eigentum erklärt und einen Zaun darum gebaut. Wir werden bestraft, als kriminell bezeichnet, wenn wir uns aus der Natur nehmen, was wir brauchen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Natur durch andere Menschen kultiviert wird, wie das durch Land- und Forstwirtschaft mit fast allen Flächen der Industrieländer der Fall ist. Diese Bereiche sind uns dann unzugänglich, sie sind sozusagen das Revier anderer Artgenossen. Da die meisten Menschen selbst kein Revier haben, müssen sie sich versorgen lassen von anderen Menschen, die etwas haben. 

Es gibt aber noch einen wichtigeren Grund, warum wir uns mit dem, was die Natur bereitstellt, nicht mehr selbst am Leben halten können. Wir haben uns von der Natur entfremdet. Wir glauben, ihr nicht vertrauen zu können. Uns werden unzählige Gefahren präsentiert, die in der Natur auf uns warten und uns krank machen oder töten. Da wir uns nicht mehr auskennen, wird die Natur sogar wirklich gefährlich für uns. Jede Umgebung ist gefährlich, wenn wir ihre Regeln nicht kennen, auch der Straßenverkehr. Wir müssen die Regeln erst lernen, und können uns dann mit akzeptablem Risiko in einer Umgebung zurechtfinden. Zusätzlich haben wir die Natur durch die Abfälle und sonstigen Einflüsse unserer Industrie noch gefährlicher gemacht. Als Beispiele sei genannt die Verschmutzung von Atmosphäre, Wasser und Erdreich durch chemisch hergestellte Substanzen, die Belastung durch Massentierhaltung auf engem Raum und die unausgeglichenen und kranken Ökosysteme durch Monokulturen. Es gibt noch viele weitere Einflussfaktoren. Dadurch ist heute vieles, was fließt oder wächst, tatsächlich ungenießbar. 

Viele Menschen haben großes Vertrauen in Wasser, wenn es in einer Flasche abgefüllt oder durch eine Leitung geflossen ist. Letzteres ist nur ausgeprägt in manchen Regionen, wie in skandinavischen und zentraleuropäischen Ländern, in denen sehr auf sauberes Leitungswasser geachtet wird. In Ländern wie Mexiko und sogar Teilen der USA beschränkt sich das Vertrauen in Wasser auf das in Flaschen abgefüllte. Allem anderen Wasser wird mit großer Skepsis begegnet. Das geht so weit, dass selbst Wasser aus den Gebirgsbächen der Alpen von vielen nicht getrunken wird, während sie dort wandern. Wird das gleiche Wasser abgefüllt und zertifiziert, dann ist das Vertrauen da. Und es wird viel Geld bezahlt, um dieses Wasser dann aus der Flasche trinken zu dürfen. 

Diese Kombination aus durch unsere Industrie in weiten Teilen ungenießbar gemachter Natur, unserer Angst vor allem, was nicht versiegelt ist, und unserer durch stets sterile Umgebung und Nahrung verkümmerter Abwehrkraft führt neben mangelnder Kenntnis dazu, dass wir uns selbst nicht mehr am Leben erhalten können. Die Luft zum Atmen ist das einzige, was wir noch in der Natur vorfinden und direkt nutzen, ohne das sie zertifiziert wird und wir dafür bezahlen müssen. Dabei ist auch die Luft häufig verschmutzt, insbesondere in aufstrebenden Ländern wie China. Aber auch in anderen Ländern, vor allem in der Nähe von Industriegebieten und großen Städten. Es sind sogar schon die ersten Ansätze zu sehen, dass in solchen Umgebungen auch die Luft aufbereitet, zertifiziert und bezahlt wird. So ist es in China für einige Menschen bereits üblich, sich nur in Gebäuden und Fahrzeugen aufzuhalten, in denen die Luft durch aufwendige Filteranlagen aufbereitet wird. Der Luft der Atmosphäre vertrauen sie nicht, und aufgrund der menschengemachten Verschmutzung dieser Luft ist das sogar nachvollziehbar.

So sind wir also in ein System geraten, in dem wir für alles, was wir zum Leben brauchen, bezahlen müssen. Und das, obwohl wir aus einer Welt kommen, in der uns alles, was wir zum Leben brauchen, zur Verfügung stand. Jetzt ist irgendwie alles unzugänglich geworden, vergiftet worden, und wenn es doch noch brauchbar wäre, wird uns einfach Angst davor gemacht, damit wir es trotzdem meiden. Kein Wunder also, dass ein Leben ohne Geld nicht mehr möglich erscheint.

Es ist erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit dieser Zustand von vielen Menschen hingenommen wird. Am Beispiel der Luft sehen wir noch, dass lebensnotwendige Dinge eigentlich in der Natur zur Verfügung stehen. Wir sehen es auch daran, wie sich die Pflanzen und Tiere am Leben erhalten. Wir finden aber nur noch die Luft zum Atmen vor. Den Rest müssen wir kaufen. Und mancherorts muss auch saubere Luft bereits gekauft werden. 

Der Anspruch, dass sauberes Wasser und saubere Nahrung genauso wie auch saubere Luft nicht durch Verschmutzung oder Eigentum unzugänglich gemacht werden dürfen , ist verloren gegangen. Und wenn in Zukunft das Vertrauen in die Luft der Atmosphäre beseitigt werden sollte, dann folgt daraus auch, dass die Luft mit der Rechtfertigung der vorigen Aufbereitung oder Zertifizierung als ein kostenpflichtiges Gut akzeptiert werden wird. Das mag dem ein oder anderen noch absurd erscheinen. Aber vor dem Hintergrund der Geschehnisse im ersten Drittel der zwanziger Jahre des einundzwanzigsten Jahrhunderts ist es dann vielleicht gar nicht mehr so unvorstellbar, wie das Vertrauen in die Luft angegriffen und beseitigt werden kann. Für Wasser und Nahrung ist diese Strategie in ähnlicher Weise bereits umgesetzt worden. Man könnte einwenden, dass Luft überall um uns herum ist. Aber dasselbe ist der Fall für Wasser und Nahrung, wenn man nicht in einer Stadt lebt. Selbst in der Wüste finden Tiere und dort lebende Menschen Wasser und Nahrung.

Es stellt sich die Frage: Wollen wir diesen Weg gehen? Wollen wir in einer solchen Welt leben? Oder sollten wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen? Wir haben Zugang zu so viel Wissen. Wir können die Regeln der Natur lernen. Das ist zwar nicht so üblich wie der Erwerb eines Führerscheins. Aber nicht nur die Regeln des Straßenverkehrs sind als Bildungsangebot vorhanden. Es gibt unzählige Angebote, etwas über die Natur zu lernen. Wir können diese Angebote wahrnehmen oder auch nicht. Wir können wieder Vertrauen in die Natur gewinnen, uns so verhalten, dass die Früchte der Natur wieder genießbar werden. Oder wir können weiter daran glauben, dass uns nur eine unter der Gewalt der Industrie stehende Natur ernähren und am Leben erhalten kann. Auch dafür werden auf den ersten Blick plausible Gründe geliefert: sei es der Anspruch, nur Nahrung aus kontrollierter Umgebung zu bekommen, oder der Glaube, die Zahl der Menschen, die heute leben, könne nur mithilfe der heutigen Methoden der Landwirtschaft ernährt werden.

Es stellt sich andererseits die Frage: Wollen wir in einer Welt ohne Geld leben? So, wie wir uns die Welt vorstellen, die es vor dem Siegeszug des Geldes einmal gab, oder zumindest gegeben haben müsste? Sicherlich nicht. Aber wissen wir, wie die Welt aussah, ohne das Geld? Ist Geld eine Notwendigkeit für Kultur und Zivilisation? Und vor allem, ist es eine Notwendigkeit des Geldes, dass irgendwann nichts mehr ohne Geld zugänglich ist? Macht Geld die Menschen zwangsläufig zu Sklaven des Geldes? Können oder wollen wir unsere Freiheit messen an der Menge an Geld, über die wir verfügen?

Wir haben das Geld im Wirtschaftsleben weitgehend akzeptiert. Aber wir bemühen uns auch, das Geld aus dem sozialen Leben fernzuhalten. Wir wollen unsere Freunde nicht dafür bezahlen, dass sie uns Gesellschaft leisten, und wir wollen nicht dafür bezahlt werden. Wir wollen Zuneigung geben und dafür Zuneigung erhalten, nicht Geld. Wir wollen dazugehören, weil wir als Person geschätzt werden, nicht weil wir dafür bezahlen. Auch daran ist noch klar zu sehen, dass Geld nicht zu unserem Wesen gehört. Wir akzeptieren es, und es führt uns sogar leicht in Versuchung, aber wirklich mögen tun wir es nicht. 

Wir haben das Spiel akzeptiert, welches Geld als sein Ziel definiert, und wir haben die Ansicht adoptiert, Geld sei ein Symbol für Erfolg. Wir erkennen aber auch, dass es gar nicht sinnvoll ist, Freunde aufgrund ihres Geldes auszusuchen. Und ob uns ein Mensch sympathisch ist oder nicht, das machen wir auch nicht von Geld abhängig. Dennoch haben wir hohe Erwartungen an das Geld, vor allem wenn wir unzufrieden sind. Wir werden neidisch auf Menschen mit mehr Geld, oder fühlen uns benachteiligt, ungerecht behandelt. Auch dann, wenn wir weit davon entfernt sind, zu verhungern. Wir können erkennen, dass Geld für die über das nackte Überleben hinausgehenden wirklich wichtigen Dinge nutzlos ist, machen aber dennoch oft unser Glück davon abhängig. Damit bauen wir selbst die Grundlage für die Macht des Geldes, die dann auch real auf uns wirkt. 

Wir werden das Geld in der Wirtschaft wahrscheinlich noch lange nutzen. Aber wie wir damit umgehen, ob wir es wirklich nur benutzen, oder ob wir uns vom Geld benutzen lassen, dass liegt an uns. Wir können es nicht ganz ablehnen, aber wir müssen es auch nicht zum Sinn und Ziel unseres Lebens oder zum Inbegriff des Erfolgs erheben. Sobald wir dem Leben wieder mehr Beachtung schenken und es besser verstehen, wird das Geld von ganz allein an Bedeutung für unser Streben und unser Selbstwertgefühl verlieren. Die heutige Rolle des Geldes entspringt keiner natürlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Notwendigkeit, sondern einem Mangel an Wissen, Orientierung und Gemeinschaft. 

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