Wahrheit kann auf zwei Wegen gefunden werden. Schiller beschreibt sie als außen im Leben und innen im Herzen. Eine Wahrheit, die sich ausschließlich auf das Außen stützt, bringt uns jedoch nie Gewissheit. Diese Thematik wurde bereits angesprochen im Artikel “Logik und Beweis”. Wir können beobachten, was draußen in der Welt geschieht. Wir können es beschreiben, mit Sprache und Worten, mit Mathematik und Zahlen. Damit erschaffen wir ein Modell der Wirklichkeit, eine „ideelle Welt“ oder eine Vorstellung auf Basis unserer Beobachtungen und unserer Theorien und Begriffe.
Datenanalyse wird heute gerne benutzt, um Wahrheiten im Außen zu finden. Sie leitet eine Regel aus wiederholten Beobachtungen ab, ohne zum Wesen der Erscheinung vordringen zu müssen. Damit werden Aussagen über ein System gemacht, ohne das wir dafür einen Begriff von diesem System benötigen. Es kann weiterhin rätselhaft bleiben, auch nachdem eine Regelmäßigkeit gefunden wurde. Eine analytisch ermittelte Regel sollte ihre Gültigkeit eigentlich direkt verlieren, sobald sie mit einer neuen Beobachtung in Konflikt gerät. Dazu kommet es aber manchmal erst mit Verzögerung, besonders wenn schon viel investiert wurde in Ziele und Methoden, die aus der Regel abgeleitet wurden.
Anders stellt sich die Sache dar, wenn wir unser Denken nutzen, um zum Wesen einer Sache vorzudringen. Wir erleben dann die Naturgesetze im Geist, oder mit den Worten Schillers, innen im Herzen. Wir finden die Idee und bilden einen Begriff zu einer Erscheinung, und damit folgt die Einsicht, dass ein Vorgang unter bestimmten Verhältnissen erfolgen muss. Innerhalb eines einzigen Phänomens kann diese Notwendigkeit bereits erkannt werden. Die induktive Methode der Datenanalyse kann das nicht. Ein Induktionsschluss versucht, aus wiederholten Beobachtungen auf das Wesen einer Sache zu schließen.
Von der einen Seite tritt die Sinnenwelt, von der anderen das ideelle Wesen derselben an uns heran, und wir müssen diese beiden Wirklichkeitsfaktoren in eigener Tätigkeit verbinden. Dieser Dualismus der Sinnen- und Gedankenwelt wird in eine Einheit gebracht durch die Wissenschaft. Erkennen bedeutet, die unabgeschlossene sinnliche Erfahrung durch die Enthüllung ihres Kerns zum Abschluss zu bringen. Das Wesen dieses Kerns muss vom Geist als Gedanke, als Idee gefunden und dann in unser Weltbild, also unser Begriffsnetzwerk integriert werden.
Kant hat behauptet, die Ideen seien Trugbilder oder Illusionen. Er bezeichnet Ideen als regulativ, also allein für unsere Systematik bedeutsam. Damit sind sie dann nicht konstitutiv, also für die Sache maßgebend. Diese Ansicht ist auch heute noch dominant und ein wesentlicher Grund für die weite Verbreitung der Datenanalyse. Wenn wir die menschliche Fähigkeit, die zu einer Erscheinung gehörige Idee im Denken finden zu können, infrage stellen oder ablehnen, oder sogar die Existenz von Ideen ablehnen, dann bleibt nur das Finden von Mustern in Daten. Diese Methode braucht keine Idee, kein Verständnis, sie ist eine stumpfe Extrapolation des sinnlich Beobachteten. Deswegen liefert sie uns auch keine Gewissheit, sondern oft das Gegenteil. Das betrifft insbesondere die Gebiete, in denen sich keine Experimente in einfachen, isolierten Systemen machen lassen. Die Datenanalyse bedient sich nur der Beobachtung zur Datensammlung, und lehnt den objektiven Charakter des Denkens ab. Ihr fehlt damit ein für Wissenschaft wesentliches Element.
Das Feld des Gedankens ist einzig das menschliche Bewusstsein. Dadurch büßt die Gedankenwelt jedoch nichts an Objektivität ein. Hegel sieht das Objektive, der heutige Zeitgeist überwiegend das Subjektive im Denken. Die Erkenntnistheorie behandelt die Beziehung zwischen den Wahrnehmungen – der Welt der Erscheinungen – und den Gedanken – der Welt der Begriffe und Ideen. Dabei lässt sich beobachten, dass Menschen trotz ihrer unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen in der Welt die gleichen Begriffe bilden, wenn sie sich mit etwas intensiv beschäftigen. Wir leben in der gleichen Welt. Zu Beginn einer Auseinandersetzung mögen wir die Silhouette eines Berges unterschiedlich beschreiben, weil wir ihn aus verschiedenen Richtungen betrachten. Wenn wir jedoch bereit sind, unseren Standpunkt zu verändern, dann werden wir den Berg aus allen Perspektiven beobachten können. Erst dann können wir einen Begriff bilden, der umfassend genug ist, um mit allen anderen Menschen darüber sprechen zu können und einander zu verstehen.
Wissenschaftliche Bearbeitung der Wirklichkeit erfordert eine konkrete Wahrnehmung. Diese liefert zunächst ein Rätsel. Sie spricht ihr Wesen nicht selbst aus, und wir spüren den Drang, dieses Wesen zu erforschen. Es wird eine Idee gefunden und ein Begriff erarbeitet, der das gesuchte Wesen der Wahrnehmung ist.
Die Wissenschaft der Moderne besteht fast nur aus der Definition von Begriffen anhand von Erscheinungsmerkmalen. Der Verstand ist eine notwendige Vorstufe jeder höheren Wissenschaftlichkeit. Der Verstand ist jedoch nicht in der Lage, über die Analyse hinauszukommen. Er führt eine Trennung künstlich herbei, was ein notwendiger Schritt für unser Erkennen ist, aber nicht dessen Abschluss. Die Vernunft hat die vom Verstand geschaffenen Begriffe ineinander übergehen zu lassen, in eine harmonische Einheit zu bringen. Dies ist ein Bestreben des Herzens. Deshalb entsteht ein Zwiespalt zwischen der nur verstandesmäßig geführten Wissenschaft und dem menschlichen Herzen. Das Herz kann die Harmonie des Weltganzen mit dem Gefühl durchdringen, ohne dafür die Vernunft anwenden zu müssen. Die Vernunft, die jedem wissenschaftlich Gebildeten zugänglich ist, kann dann durchschauen, was zuvor nur gefühlt oder geahnt wurde.