Der Film Matrix aus dem Jahr 1999 kann auch als eine Verfilmung des Höhlengleichnisses interpretiert werden. Beide Geschichten beschäftigen sich mir den gleichen grundlegenden Fragen rund um Täuschung, Illusion, Wahrheit und Wirklichkeit. Wichtig ist der Film auch deshalb, weil er auf die Aktualität dieser Thematik hinweist und die Möglichkeit in den Raum stellt, dass auch in der heutigen Zeit die Bevölkerung ganzer Zivilisationen zu großen Teilen einer Täuschung unterliegen könnte. Dass die Menschen womöglich ihre wahre Beziehung zur Wirklichkeit nicht kennen und auch nur schwer erkennen können.
Was ist eine Illusion? Illusionen werden geschaffen, von mir für mich selbst oder für andere oder von anderen für mich. Die Illusion kann gut begründet oder auch gut gemeint sein. Eine Illusion kann einen Zufluchtsort darstellen, oder auch ein Gefängnis. Durch eine Illusion kann Einfluss auf das Verhalten der Menschen, sogar auf das Weltbild und die Weltanschauung eines Menschen genommen werden.
Es gibt Strukturen, die ihre Stabilität dadurch erhalten, dass die darin eingebundenen Menschen sich in einer Illusion befinden und an dieser festhalten. Die vermutlich zu jeder Zeit bedeutsamste und am weitesten verbreitete Illusion ist der Glaube, dass Illusionen in der jeweils aktuellen Gesellschaft überwunden seien. Viele Menschen glaubten und glauben, dass die Welt so aufgebaut ist und so funktioniert, wie es Ihnen beigebracht wurde. Das bezieht sich sowohl auf das Verständnis des Kosmos als auch des Menschen selbst, mitsamt der Zivilisation, in die wir eingebettet sind.
Eine Illusion ist dann besonders gut geschützt, wenn die allgemeine Überzeugung sagt, Illusionen gebe es nicht mehr, könne es nicht mehr geben, oder seien ein Phänomen der unaufgeklärten Vergangenheit. Wer glaubt, es gebe nichts zu entdecken, es sei alles so wie es scheint, der ist auch nicht mehr neugierig.
“Jeder Mensch stolpert im Laufe seines Lebens irgendwann über die Wahrheit, doch die meisten stehen auf, klopfen sich den Staub ab und gehen weiter.”
Winston Churchill
Auch in der heutigen Zeit sind wir umgeben von Illusionen. Wir werden damit noch immer reich beschenkt, und oft werden wir ein Teil von ihnen. Es gibt natürlich immer wieder Hinweise, dass unser Weltbild nicht ganz der Wirklichkeit entspricht, aber meistens nehmen wir diese gar nicht mehr wahr. Wir ignorieren sie, schauen in eine andere Richtung. Und auch wenn wir einmal wirklich damit konfrontiert werden, dass etwas nicht stimmt, ergreifen nur wenige Menschen diese Chance, um ihr Weltbild fundamental zu verändern.
Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, auf Widersprüche innerhalb des gesellschaftlich vermittelten Weltbildes zu stoßen. Die Menge an Konflikten und Absurditäten in der veröffentlichten Meinung ist stetig zunehmend. Aber dadurch wird ein Mensch, der keine Kapazität oder keinen Mut für Veränderung hat, nicht ins stolpern zu bringen sein. Er wird weiter marschieren. Oft sind es dann Krisen, durch die wir in eine Situation gelangen, in der wieder Zeit ist nachzudenken.
Jeder Mensch geht seinen eigenen Weg, und wir müssen eine Balance finden zwischen der eigenen Entwicklung und der Hilfe durch und für andere. Wir dürfen inspirieren und Interesse wecken, aber jeder Mensch muss sich aus eigener Kraft von den Schatten abwenden und zum Ausgang der Höhle begeben dürfen. Oder, um den Bogen zu Matrix zu schließen, jeder darf jeden Tag selbst wählen, ob es die blaue oder die rote Pille sein soll.
Entscheiden wir uns für die rote Pille, ist die Arbeit natürlich nicht getan. Wir schauen dann ja nur zum ersten mal vorsichtig aus dem Höhleneingang hinaus, und es beginnt die Entdeckung einer ganz neuen Welt. Das ist mit viel Arbeit, vielen Höhen und Tiefen, vielen richtigen und falschen Erkenntnissen, vielen Irrwegen und Durchbrüchen verbunden. Vor allem erfordert es auch das Loslösen von vielen alten Glaubenssätzen und viel Zeit. Die Entdeckung der Welt und die Entdeckung unseres eigenen Wesens sind Lebensaufgaben.