Spieler und Figuren

Wenn du “Das Lied von Eis und Feuer” gelesen hast oder die Serie “Game of Thrones” geschaut hast, dann erinnerst du dich vielleicht an das folgende Zitat der Romanfigur Petyr Bealish:

“Es gibt zwei Arten von Menschen in King’s Landing: Die Spieler und die Figuren… Jeder Mann beginnt als Figur, und auch jede Frau. Auch manche, die glauben, sie seien Spieler.”

George R.R. Martin, A Storm of Swords

Das trifft nicht nur auf King’s Landing zu. Es trifft auch nicht nur in der Fantasiewelt des Romans zu. Jeder Mensch kann als Spieler oder als Figur denken und handeln. Das lässt sich in der Regel auch an den Menschen um uns herum beobachten. Manche Menschen haben einen großen Einfluss auf ihre Umgebung, verwirklichen ihre Ideen, finden und ergreifen Gelegenheiten, haben vielleicht eine eigene Firma. Vielleicht kennst du jemand, der dich fortlaufend mit neuen Initiativen und unvorhersehbaren Aktionen überrascht. Auf der anderen Seite kennst du vielleicht auch Menschen, die einen stets gleichen Tagesablauf pflegen, beharrlich auf den nächsten Karriereschritt hinarbeiten, und sich beschweren wenn jemand anders die Beförderung bekommt, die eigentlich ihnen hätte gegeben werden müssen. Vielleicht haben sie Familie und führen einen ordentlichen Haushalt, in dem alles so ist, wie es sein soll, wie es von einem guten Bürger erwartet wird. Und mit Sicherheit kennst du viele Menschen zwischen diesen beiden Extremen. Die meisten von uns sind sowohl Figuren als auch Spieler. Aber die meisten haben auch eine Tendenz, welche Rolle sie lieber spielen, welche Rolle sie meistens einnehmen. Welche Rolle bevorzugst du?

Damit die Unterscheidung von Figuren und Spielern sinnvoll ist, müssen wir nicht um einen Thron kämpfen. Die meisten von uns sind fernab von einem Thron. Jedenfalls von einem Thron, der in einer großen Burg auf dem höchsten Hügel der Hauptstadt eines Königreiches steht. Die meisten Menschen regieren kein Königreich, und haben vermutlich auch keine solchen Ambitionen. Aber wir alle leben ein Leben. Unser eigenes, individuelles Leben. Wer hat die Verantwortung für dein Leben? Du selbst? Dann hast du die Mentalität eines Spielers. Oder jemand anderes, oder äußere Umstände? Prägen, nach deiner Meinung, rücksichtslose Menschen und Pech dein Leben mehr als du selbst? Dann hast du die Mentalität einer Figur. Unsere Mentalität, unsere Geisteshaltung bestimmt wie wir denken und handeln, und bestimmt damit wie wir leben und wer wir sind.

Es kann stressig und abschreckend wirken, ein Spieler sein zu wollen. Wir sind vielleicht in dem Glauben, dass wir dazu immer unberechenbar sein müssen, niemals beeinflussbar sein dürfen, immer alles im Blick haben und durchschauen müssen und nie überrascht werden dürfen. Aber darum geht es nicht. Ein Spieler zu sein bedeutet, frei zu sein. Wenn wir uns unter Druck setzen, weil wir glauben, ein Spieler sein zu müssen, dann sind wir nicht frei. Eine freie Person interessiert es nicht, ob andere sie als Spieler oder als Figur beurteilen. Viele Menschen, die auf den ersten Blick wie Spieler wirken, sind nicht frei. Sie sind Sklaven ihres Ehrgeizes, immerzu auf der Suche nach mehr, aber nie zufrieden. Sie sind eigentlich Figuren im Spiel des Kapitalismus. Sie haben nie gelernt, wie Zufriedenheit erreicht werden kann, wie sie glücklich werden können. Und sie versuchen es immer weiter so, wie es ihnen vorgelebt wurde, stets mehr wollend, mehr ansammelnd oder mehr konsumierend, ohne die Aussichtslosigkeit dieser Methode zu erkennen. 

Wir haben große Auswahlmöglichkeiten. Es wird von uns erwartet, dass wir wählen. Wir werden oft regelrecht dazu gezwungen, es wird gesagt, wir würden unserer Verantwortung nicht gerecht, wenn wir nicht wählen, wenn wir uns keiner Gruppe oder Partei anschließen, uns nicht bekennen zu einer von mehreren gegebenen Positionen. Das ist Teil eines Spiels, und es reduziert uns zu Figuren, macht uns vorhersehbarer, einfacher zu händeln, wenn wir mitspielen. Es wird erwartet, dass wir die Meinungen der Gruppe vertreten, der wir uns anschließen. Wir sollen diese oder jene Option wählen und dann entsprechend denken oder handeln. Es wird dann gerne behauptet, wir hätten schon vorher so gedacht, sonst hätten wir ja eine andere Option gewählt. Dahinter steckt entweder die Annahme, dass es für alle denkbaren Optionen ein passendes Angebot auszuwählen gebe, oder dass ein Mensch zu eigenen Gedanken gar nicht fähig sei, und deshalb nur aus gegeben Alternativen wählen könne. Eine eigene Meinung, eigene Gedanken zu allem zu haben, ist den meisten zu viel Aufwand. Und die Welt ist harmonischer, wenn keiner so etwas hat. Wenn jeder eine Seite wählt, wenn wir es tun müssen, dann brauche ich mich nicht dafür schämen, dass ich es mir einfach mache, indem ich Behauptungen übernehme und so denke, wie es die von mir gewählte Seite vorgibt. 

Wenn zwei erwachsene Menschen interagieren, haben immer beide eine Verantwortung. Wr können temporär der Gewalt einer übergriffigen, stärkeren Person zum Opfer fallen. Wir können womöglich nicht direkt flüchten oder uns verteidigen. Besonders als junge Menschen können wir es uns nicht vorwerfen, in einer solchen Situation zu sein. Als Erwachsene müssen wir mit unserer Situation umgehen, wir sind verantwortlich zu entkommen, wenn es nötig ist. Es ist bringt uns nicht voran, anderen die Schuld an allem Übel zu geben und darauf zu beharren, selbst immer alles richtig gemacht zu haben, oder stets nur eine einzige Handlungsmöglichkeit gehabt zu haben. Es ist sinnlos, die andere Seite zu beschuldigen und zu glauben, die eigene Partei sei immer ohne Verantwortung, oder stets gerecht und gut. Wir belügen uns dann selbst. Und mit dieser Einstellung entscheiden wir uns, in der Opferrolle zu bleiben, eine passive Figur im Spiel der Anderen.

Wenn wir uns für unser Leben verantwortlich fühlen, dann sind wir ein Spieler. Wenn wir aufhören, uns darüber zu beschweren, was uns widerfahren ist, wenn wir die Möglichkeiten erkennen, die sich aus unserer individuellen Situation ergeben, dann können wir Initiativen ergreifen und Verantwortung übernehmen. Für die Menschen um uns herum mögen wir weiterhin wie eine Figur erscheinen, vorhersehbar, bescheiden, hilfsbereit. Eine freie Person braucht nicht ständig zu rebellieren. Aber ein freier Mensch erkennt, was wichtig ist, weiß wann er dienen und wann er die Welt gestalten soll.

Bist du frei? Willst du frei sein? Weist du, wie du frei wirst? Die kürzeste Antwort ist: Die Wahrheit bringt uns in die Freiheit. Das mag bekannt klingen, oder auch mysteriös. Wahrheit zu finden erfordert Beobachtung und Denken. Der vorherige Artikel kann Anregungen geben, was das bedeutet, und wie wir der Wahrheit näher kommen können.

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