Gut und Böse

0
(0)

In Bezug auf das Gute und das Böse gibt es neben unzähligen Zwischenstufen zwei extreme Standpunkte, die sich durchaus beide einer gewissen Beliebtheit erfreuen. Ich möchte sie hier im Folgenden kurz skizzieren. 

Manche Menschen sehen überall gut und böse. Bei jedem Konflikt, bei jedem Krieg, verurteilen sie eine Seite als böse und bezeichnen die andere als gut. Oft haben sie klare Regeln und Vorstellungen, wie ein guter Mensch sich zu verhalten hat, wie ein guter Staat auszusehen hat. Sie betrachten zum Beispiel Menschen als gut, die sich an bestimmte Regeln halten, obwohl sie niemand unmittelbar für ein Fehlverhalten bestrafen könnte. Andere Menschen sehen nirgendwo gut und böse, streiten gar ab, dass diese Unterscheidung sinnvoll ist. Sie verstehen die Handlungen aller Beteiligten als rationale oder notwendige Konsequenz ihrer Situation oder ihrer Interessen. Sie sind gnadenlose Opportunisten, es ist für sie ein Wettbewerb, und wer nicht stark ist, muss stark werden, oder ist selber schuld. Sie betrachten Übergriffigkeit und Unterwerfung womöglich als eine notwendige Folge von Stärke, der sich die Schwachen unterzuordnen haben. Die Begriffe vom Guten und Bösen dienen für sie nur der Manipulation. 

Wir erleben eine Fülle von Empfindungen. Wir verarbeiten diese mit einer Fülle von Gedanken. Dabei bewerten wir manche Empfindungen als angenehm, andere als unangenehm. Wir entwickeln Sympathien und Antipathien. Wir entwickeln eigene Vorstellungen, eigene Absichten, einen eigenen Willen. Als böse kann das angesehen werden, was uns unangenehme Empfindungen bereitet oder unseren Absichten im Wege steht. Gut ist dann das, was angenehme Empfindungen bewirkt und sich mit unseren Vorstellungen deckt. Welche Empfindungen wir als angenehm, und welche als unangenehm bewerten, ist ein subjektives Urteil. Wir werden dort auf Gemeinsamkeiten stoßen, dürfen aber auch nicht blind von uns auf andere schließen. Das gilt insbesondere für andere Menschen, aber auch für andere Lebewesen. 

Erschwerend kommt hinzu, dass wir die Folgen unserer Handlungen nur noch sehr schwer überblicken können. Wir nutzen die Macht des Geldes, ohne einen guten Überblick zu bekommen, was wir damit bewirken. Wir kaufen viele Produkte, um unser tägliches Leben zu bewältigen. Diese Produkte stehen mehr oder weniger hübsch auf dem Regal, sind angepriesen im Online-Shop, oder erreichen uns direkt über eine Leitung, wie Strom und Wasser. Meist haben wir nicht viel, genau genommen gar nichts zu tun mit der Produktion dieser Güter. Wir kennen die Menschen nicht, die sie hergestellt haben. Wir wissen nicht genau, wo sie hergestellt wurden, auf der Packung steht meist nur ein Land. Wir wissen nicht, wie sie transportiert wurden und von wem. Immer wieder kommt es zu Bedenken über die Zustände in den Produktionsstätten und Lieferketten für die Güter unseres täglichen Bedarfs. Wenn wir wirklich Ansprüche haben an ein gutes Verhalten, dann müssen wir Wege finden, uns über Quellen zu versorgen, die diesen Ansprüchen genügen.

Es gibt Höfe und Betriebe, die direkt an Endkunden verkaufen. Diese sind oft um Transparenz bemüht und ermöglichen es, die Menschen und die Umgebung, die an der Erzeugung der Güter beteiligt sind, selbst kennenzulernen. Der Umgang mit den Tieren, mit den Pflanzen, mit den Böden und mit Wasser und Luft kann dann selbst erlebt werden. Das Verhältnis von Mensch und Tier ist vor diesem Hintergrund noch einen separaten Artikel wert. Der Ertrag pro Mitarbeiter und Hektar dieser Betriebe ist oft geringer als bei industriellen Großbetrieben. Dafür ist die Qualität besser, der Einsatz von Chemikalien und Dünger reduziert, die Tiere haben mehr Platz, die Mitarbeiter weniger Stress und abwechslungsreichere Tätigkeiten. Aber die Produkte müssen teuerer sein, um den geringeren Ertrag auszugleichen. Sie richten sich also an Kunden, die die Qualität wertschätzen und auch Wert legen auf ein gutes Leben für alle beteiligten. Wer für sich selbst der Ansicht ist, kein gutes Leben und immer zu wenig Geld zu haben, der wird wohl nur wenig Interesse an diesen Produkten haben. So gesehen sind diese Produkte ein Privileg. Haben Menschen, die sie nicht kaufen, sondern die billigen Dinge aus anonymen Quellen, sich etwas vorzuwerfen? Gibt es für sie kein gut und böse?

Diese Komplikationen führen schon mal dazu, dass wir der Frage nach gut und böse lieber aus dem Weg gehen. Wir glauben dann gerne, dass wir in den guten Ländern Steuern zahlen, die mit ihren gerechten Kriegen gegen die bösen Männer dieser Welt kämpfen, um diese ihrer Macht zu berauben, damit eine gute Welt für alle übrigen Menschen entsteht. Das ist leider eine Illusion. Wer auf Wahrheit wert legt, kann hier nicht stehenbleiben. 

Es ist nicht sinnvoll, Menschen aufgrund ihres Verhaltens ohne Rücksicht auf ihre Situation zu verurteilen. Wir haben ganz unterschiedliche Herausforderungen und Aufgaben im Leben. Wer in einem armen Land zu Welt kommt und froh ist, wenn er überhaupt genug zu essen bekommen kann, sollte nicht direkt damit konfrontiert werden, dass er sein Essen nur von Quellen beziehen soll, die den Ansprüchen eines wohlhabenden Menschen genügen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit seiner Ernährung nichts und niemandem ein Haar zu krümmen. Auch innerhalb reicher Länder gilt das genauso. Wir übernehmen viele Irrtümer, und es braucht Zeit, sie alle zu erkennen und in ihren Auswirkungen zu erfassen. Wir finden uns eingebettet in ein Umfeld, welches gewisse Dinge fördert und als normal darstellt, die wir irgendwann mit Recht hinterfragen können. Wir können uns dadurch aber nicht direkt aus unserem Umfeld herauslösen, und können es auch nicht von heute auf morgen komplett neu gestalten. 

Was uns die Sache zusätzlich erschwert ist die sehr stark fortgeschrittene Aufgabenteilung, die sich für viele Produkte auf die ganze Welt verteilt. Es ist grundsätzlich nichts dagegen zu sagen, sich zu spezialisieren und Handel zu treiben. Wir können nicht alle als Selbstversorger auf diesem Planeten leben und sollten uns das auch nicht aus ideologischen Gründen zum Ziel machen, sondern nur dann, wenn diese Art zu leben uns attraktiv erscheint. Es kann allerdings passieren, dass wir keinen Überblick mehr haben über all das, was nötig ist, um unser Leben, so wie wir es führen, zu ermöglichen. Es kann dazu führen, dass wir mit einer gut gemeinten Optimierung von den uns bekannten Teilaspekten insgesamt das Gegenteil von dem bewirken, was wir zu erreichen versuchen. Es ist erstrebenswert, wenn wir neben dem zu unseren Spezialaufgaben gehörenden Fachwissen immer auch einen groben Überblick haben über die Zusammenhänge in der Welt als Ganzes. So können wir vermeiden, dass gut gemeint zum Gegenteil von gut wird, und wir sind dann auch nicht mehr ganz so leicht zu täuschen und zu manipulieren.  

Dinge voreilig als gut oder böse zu verurteilen und darauf zu beharren, führt of zu folgenschwerem Fehlverhalten. Keine Differenzierung von gut und böse vorzunehmen gibt uns aber auch keinen Halt und führt in die Orientierungslosigkeit. Die Unterscheidungskraft für gut und böse ist eine für den Menschen wesentliche Fähigkeit. Sie kommt im Alltag leider selten zur Anwendung. Meist übernehmen wir Urteile, die uns gegeben werden. Was sich als gut darstellt und die Macht hat, dies auf fast allen Kanälen zu tun, das wird schon gut sein. Genauso werden uns Feindbilder gegeben, damit wir ohne eigenes Nachdenken darüber informiert sind, wer böse ist. Wer diesen Vorgaben folgt, wird gut und böse nicht selbst unterscheiden lernen und Opfer einer Täuschung bleiben. Die Täuschung ist das mächtigste Werkzeug des Bösen. Und die wichtigste Täuschung von allen ist die Etablierung der Überzeugung, dass es das Böse gar nicht gibt. Und obwohl ich es hier als Täuschung bezeichne, muss ich gleichzeitig sagen, dass diese Behauptung auch nicht gänzlich falsch ist. Sie wird aber schnell falsch verstanden, und kann zu einem Weltbild führen, das uns zum Opfer macht. 

Es ist wichtig, was wir für eine Vorstellung vom Bösen haben. Den Begriff des Bösen zu definieren ist eine schwierige Aufgabe. Das Böse ist für viele ein Mysterium. Es kleidet sich gerne in schöne Gewänder und verwendet oft schöne Worte. Es kommt gerne unserer Bequemlichkeit entgegen und freut sich, wenn wir ihm ganz vertrauen. Es beteuert unermüdlich, nur das Beste für uns zu wollen, und wird nicht müde, uns Gründe zu liefern, warum wir ihm Verantwortung übertragen sollen. Das Böse mag die Freiheit der Menschen nicht, verspricht sie aber dennoch gerne all denen, die das hören wollen. Für das Böse heiligt der Zweck die Mittel. Es mag Ordnung und Kontrolle. Um dies zu erreichen wird es übergriffig, und deshalb ist es böse.

An dieser Stelle ist es wichtig, was wir für ein Menschenbild haben. Wenn wir der Ansicht sind, dass Menschen nicht umgehen können mit Freiheit, und zum Erhalt von Recht und Ordnung gezwungen werden müssen, dann bewerten wir regelkonformes Verhalten von Seiten der Staatsgewalt oft auch dann als gut, wenn es in unsere Freiheit eingreift. Und tatsächlich ist der Umgang mit Freiheit nicht einfach und muss gelernt werden. Dabei stehen wir häufig alleine da, und werden während des Lernprozesses auch irren und Fehler machen. Es ist auch nicht grundsätzlich böse, Regeln aufzustellen und durchzusetzen. Es ist für unsere Entwicklung sogar ein notwendiger Schritt.

Würden wir nicht irren und keine Fehler machen, dann gäbe es auch nichts, was wir als böse bezeichnen können. Stünden wir unter der direkten Führung eines unbeirrten Wesens, wären wir im Paradies. Wir wurden jedoch in die Freiheit entlassen. Wir müssen die Welt selbst entdecken, und wir werden dabei irren und Fehler machen. Die resultierenden Konsequenzen bezeichnen wir gerne als das Böse. Es ist eine Rückmeldung, die uns deutlich macht, dass wir uns entweder selbst irgendwo geirrt haben, oder jemand anders auf einem Irrweg ist. So wie der Schmerz uns darauf aufmerksam macht, dass wir uns verletzt haben. Wir erschaffen das Böse selbst, nicht weil wir böse sind, sondern weil wir lernen müssen und dabei Rückmeldung brauchen. Es gibt Bestrebungen, die Menschen unter die Herrschaft einer unbeirrten Macht oder künstlichen Intelligenz zu stellen, sodass sie wieder geführt werden und nicht mehr irren können. So wäre das Böse beseitigt und wir wären wieder in dem Zustand, in dem wir im Paradies bereits waren. Wir hätten damit unsere Aufgabe, frei zu werden, aufgegeben. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns wieder von jeder Verantwortung zurückzuziehen und unter das Diktat einer allwissenden Macht zu begeben. Wir sollen die Welt selbst erkennen und in Freiheit aus eigener Entscheidung das Gute sehen und umsetzen lernen.

Daher kommt die Auffassung, dass es das Böse an sich gar nicht gebe. Das bedeutet aber nicht, dass beliebiges Verhalten ohne Konsequenzen bleibt. Wir können uns dem Bösen verschreiben, wir dürfen auch “unnötig” lange irren und Fehler machen, aber wir verursachen damit Leid für uns und andere, und wir handeln uns viel Arbeit für die Zukunft ein. Irgendwann werden wir unsere Fehler erkennen. Irgendwann werden wir aus der Opferrolle heraus treten und unsere Verantwortung erkennen. Dann werden wir einen Ausgleich schaffen, wir werden über uns hinauswachsen, uns als einen Teil der Menschheit und der Welt erkennen und gut handeln, weil wir es wirklich wollen.

Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Es tut uns leid, dass der Beitrag für dich nicht hilfreich war!

Lasse uns diesen Beitrag verbessern!

Wie können wir diesen Beitrag verbessern?

Schreibe einen Kommentar